Zum Programm
Théodore Dubois stammt aus jener goldenen Generation französischer
Komponisten, die wie Camille Saint-Saens oder César Franck
Welt-Musikgeschichte schrieben. Sie sind Romantiker im wahren
Wortsinn, aber sie überschreiten die Grenzen romantischen
Komponierens in Richtung der Moderne, ohne jedoch die Grundregeln
der klassischen Musik aufzusprengen. Sie arbeiten sich am großen
deutschen Antipoden Richard Wagner ab und versuchen, eine genuin
französische Musik zu schreiben, die nicht auf Klangbombast sondern
auf Innerlichkeit, nicht auf Überwältigung sondern auch Einfühlung
setzt. Und sie alle haben eine besondere Beziehung zur Kirchenmusik,
denn sie sind allesamt Organisten.
Seit 1855 ist Théodore Dubois der Organist am Pariser Invalidendom,
und 1877 wechselt er an die Madeleine. Zudem lehrt er am
Konservatorium, dessen Direktor 1896 schließlich wird. All das sagt
viel aus über die Wertschätzung, die dem Komponisten Dubois zu
Lebzeiten zu Teil wurde. Und die „Sept paroles du Christ“, die
„Sieben letzten Worte“ sind schon zu seinen Lebzeiten mit Abstand
sein bekanntestes Werk. Charles Marie Widor nannte es "ein Werk von
erhabener Inspiration und großartigem dramatischen Effekt" und über
einhundert Jahre lang wurden sie jedes Jahr am Karfreitag in der
Kirche Madeleine aufgeführt, was viel darüber erzählt, für wie
wichtig es gehalten wurde. Erst nach dem 2. Weltkrieg verblasste der
Ruhm des Komponisten, und erst in der jüngsten Zeit wird ihm wieder
mehr von der Aufmerksamkeit zu Teil, die er verdient.
Die oratorische Vertonung der „Sieben letzten Worte“ hat eine lange
kirchenmusikalische Tradition, von Heinrich Schütz oder von Joseph
Haydn stammen wichtige Beispiele der musikalischen Versenkung in das
Leiden Christi. Und im Gegensatz zu den dramatischen Passionen nach
den Evangelien ist der Beschränkung auf die Christusworte schon vom
Text her eine größere Innerlichkeit zu eigen, eine Reflexionsebene,
die auch Dubois geradezu exemplarisch nutzt. Besonders typisch ist
dabei, dass Dubois die Christusworte keinem individuellen Darsteller
zuweist, sondern von verschiedenen Stimmen singen lässt und außerdem
kommentiert. In einigen Passagen greift der Chor (das Volk)
hochdramatisch ins Geschehen der Kreuzigungsszenerie ein. Damit wird
der zu verallgemeinernde Gehalt der Passion gegenüber dem
persönlichen Leid Jesu herausgestellt. Und der Komponist scheint zu
sagen: die Glaubens- und Heilsbotschaft geht uns alle an.
Das Werk aus dem Jahr 1867 ist ursprünglich für eine große
orchestrale Besetzung komponiert. Doch weil es so beliebt und
erfolgreich war, fertigte der Komponist selbst eine Bearbeitung für
Harfe, Orgel und Pauken an, die allerdings verschollen ist. Heute
ist eine Rekonstruktion dieser Fassung zu hören, kombiniert mit
einigen kürzeren Stücken des französisch romantischen Kontexts,
darunter das bewegende „Pie Jesu“ von Théodore Dubois' Kollegen und
Freund Gabriel Fauré.
Thomas Höft